… und trotzdem geht das Leben weiter…

Mittwoch, 20. Dezember 2023

Vorsicht Schieflage

 



4.44 Uhr.
Guten Moooorgen.
Erstes Käffchen im Bett und meine Welt ist scheinbar in Ordnung.
Sie dreht sich zumindest.
Also, die Welt, nicht ich,
für mehr sportliches Pirouettenjogging reicht mein 
dunkler Bohnensaft heute nicht aus.
Ich stülpe mir die Kopfhörer über die Ohren. 
Bin gestern Mittag an einem Podcast mit psychologischer Ghettoproblematik hängen geblieben und wollte dieses Thema eigentlich gar nicht weiter verfolgen.
Für gewöhnlich sind dann aber genau solche so
irre spannend, 
dass einen direkt beim Zuhören der Siestaschlaf übermannt und man zugedeckt, 
auf die Couch,
unter die Wolldecke ins Suppenkoma fällt.
Tja, wat soll ich sagen... 
Woran hat’s denn jelegen?
Um auf den Podcast zurückzukommen… dieser jedenfalls war durchaus kurzweilig.
Zwei botoxgeplagte 
Weißzahn-Arztgattinnen im 
zunächst durchaus amüsanten Schlagabtausch, 
unterhaltsame
Kaffeebecherlogik, 
Zauberkugelphilosophie, 
Problembewältigung kurz und bündig.
Die Stimmen der Ladies gewöhnungsbedürfig schnarrig,
valiumhaltig, 
zu hell, zu quietschend, zu alles…
so dass dieses schwere, 
dunkle Thema unerwartet kam, 
als würdest du ein harmonielastiges, idyllisches Buch von 
Nicholas Sparks lesen und 
urplötzlich einer Einladung von 
Fitzek folgen. 
Das Thema:
Horrorszenarium - Suizidalität“.
Morbides Champagnerkränzchen in hochpreisigem Ambiente.
Harter Tobak. 
Die aktuelle Statistik besagt wohl, 
dass 10 Prozent derer, 
die es auf den Versuch, 
freiwillig aus dem Leben zu scheiden, 
anlegen, es auch schaffen. 
Dem vermeintlichen Rest wird nachgeholfen… ääähm nee, nachgesagt, 
es sei ein verschlüsselter Hilferuf gewesen. 



Gut geht, wer ohne Spuren geht.“
Doch wie laut bzw. wie lange jemand möglicherweise auch um Hilfe schreit, 
es braucht doch jemanden, 
der es auch bemerkt oder nicht?
Ich spüre, wie meine Stimmung kippt.
Als ich letztes Jahr im Januar unerwartet in die Klinik musste, 
direkt nach der ersten OP, 
wollte ich einfach nur leben.
Als es später hieß, 
sie haben noch 11 Monate, 
umso mehr. 
Kommenden Januar hab ich  
2 Jahre geschafft. 
Überlebt!
Doch es gab auch Zeiten, 
wo auch ich solch absurde Gedanken weiter gesponnen habe.
Alles wirbelte im Kopf durcheinander, 
Verarbeitung des Geschehens überhaupt, 
neue Eindrücke,
Vermutungen, 
Furcht vor der eigentlichen Diagnose, 
Angst, Schmerzen zu haben, existenzielle Probleme, 
wie geht es weiter, 
es reihen sich so viele Dinge aneinander.
Diese Ohnmacht.
Den bisherigen Alltag gab es so nicht mehr.
Klinikroutine ist nicht vergleichbar; 
fremde Hände waschen dich, berühren dich, 
fummeln an irgendwelchen Kanülen und Kabeln an dir herum, 
du trägst plötzlich hocherotische Netzschlüpper 
und 
Negligés aus weißer, gestärkter Baumwolle, 
die man hinten am Hals zubindet 
und die deinen Allerwertesten in präsentabler Vollmondoptik in jeglicher, denkbar unmöglicher Ansicht inszeniert.
Du schlürfst geräuschvoll aus Schnabeltassen und 
jemand tupft dir anschließend den Sabberfaden aus dem Mundwinkel mit kratzigen, harten Papiertüchern. 
Dein Bettzeug wird regelmäßig aufgeschüttelt, 
um nicht auf Brötchenkrümeln am Steiß oder einer,
im Bett vergessenen Verbandsschere wund zu liegen.
Die Physiotherapeuten trimmen dich täglich durchs Haus, 
die Schwestern mögen Aderlass, 
messen im Ohr deine Temperatur, 
wär ja denkbar, 
dass man über Nacht mit Schallgeschwindigkeit 
wider Erwarten die Kühlkette durchbrochen und in die Wechseljahre gefallen ist, 
dein Puls bei der ganzen Kontrolliererei auf 180 ansteigt und dein Blutdruck aus der Reihe tanzt. 
Das Küchenpersonal bringt geregelte Mahlzeiten , 
die Reinigungskraft war mit ihren Enkeln am Wochenende im Zoo, 
dann kommt die Visite, 
welche lateinisches Tohuwabohu in den Raum wirft und sich dann staubdumm vom Acker macht, 
im besten Fall erinnert sich auch 
die Logopädie, 
dass du zum Mittagessen pürierte Seniorenmahlzeiten erhalten solltest, 
um  nicht vorzeitig an ner Spirelli im Hals zu verenden. 
Die Ergoisten (jeglicher Zusammenhang oder Ähnlichkeit mit Reimworten wie Sadisten bzw. Terroristen, weise ich strikt von mir) 
können 
beim „Mensch ärgere dich nicht“ niemals verlieren.
Dessen muss man sich auch als Patient, 
in den letzten Atemzügen liegend, unablässig bewusst sein.
Ständig wuselt irgendwer in deinem Zimmer herum, 
man kommt nicht dazu, 
überhaupt einen klaren Gedanken 
zu fassen. 
Aber ist das alles möglicherweise Absicht oder sogar Strategie? 
Ist das alles der Ablenkung zuzuschreiben, 
um über die Scheinaktivität der anderen hinweg zu täuschen?
Es sind alle für dich da,
du kannst immer mit irgendwem reden, 
wenn du magst. 
Sozialer Dienst, 
Smalltalk mit dem Pflegepersonal, fachsimpeln mit den Weißkitteln, tiefgründige Gespräche mit den Psychologen.
Schon hier kann man gedankliches Abschiednehmen erkennen und ansetzen, wenn notwendig.
Wenn du heimkommst, 
erwarten dich in den ersten Wochen in der Regel ganz viele liebevolle Arme und überhaupt Menschen, 
die dich auffangen, 
dich unterstützen, 
dich ankommen lassen in deinem neuen, 
alten Leben. 
… trotzdem. 
Niemand kann rund um die Uhr 
bei dir sein, 
deine Familie geht wieder arbeiten, Freunde auch und dann passiert es. 
Dann ist man das erste Mal allein. Allein mit sich. 
Ich erinnere mich an die Tränen. 
Sie kommen, 
wenn niemand bei dir ist, 
das ist die Krux!
Andere können wiederum nicht weinen, 
sie fallen stattdessen in ein großes, 
schwarzes Loch.
Da ist diese Hilflosigkeit, Fassungslosigkeit, Kontrollverlust.
Es ist, als würde man die Kontrolle über sein Leben verlieren und trotz allem funktionieren müssen.
Irgendwie.
Suizid wird in 8 von 10 Fällen angekündigt, 
umso konkreter, 
desto alarmierender.
Und das macht mich traurig, 
funktionieren bedeutet nämlich auch, 
dass man sich regelmäßig in einer onkologischen
Praxis eine 
Chemococktail - Mixinfusion intravenös durch die Venen schiessen lassen muss, 
man sich im Anschluss 
in der Straßenbahn die Seele aus dem Leib kotzt, 
wenn die giftige Medikamentengabe den Rückwärtsgang einlegt, 
und die Krankenkasse unter Umständen zwar die Fahrtkosten für ein Taxi zur Chemotherapie bewilligt, 
der Zuzahlungsbetrag allerdings deutlich höher ist, 
als der qualvolle Trip mit der Tram durch die Innenstadt 
oder 
man an viel Schlimmerem erkrankt. Und doch wirst du niemanden finden, der betroffen ist und jammert.
Außer die beiden 
Prickelbrause - Schnütchen aus dem Podcast, 
deren Klagegesang und weinerliches Gebaren grotesk wirkt, 
während im Hintergrund die Schampusschalen klingeln.
Luxusprobleme unserer Gesellschaft, 
die förmlich nach Aufmerksamkeit schreien
und dieser Mangel an Beachtung verursacht letztendlich genau 
diesen Eintrag in einer Statistik, 
welche ich vorab gern in 
Händen gehalten hätte, 
um diese zu frisieren, 
und damit derlei Unfug zu sabotieren.
Die beiden blasierten Frauenzimmer, 
die sich während dem alltäglichen Champagnerbesäufnis über 
diverse Optionen und Alternativen des fröhlichen Ablebens auslassen und laut neuerlicher Datenerfassung vorzeitig eher selten die Grätsche machen, 
den Löffel abgeben, 
die Hufe hochreißen oder 
einfach von der Bühne des Lebens abtreten,
weil gelegentlich überhöht dosierte Schlaftabletten problemlos weggekokst werden, 


… und eine schwere Kindheit und unseriöser Umgang in der Pubertät mühelos mit Hochprozentigem kompensierbar sind. 
Und dann kommt sie manchmal aus dem Nichts, diese Wut, 
mir schwillt die Halsschlagader…
dieses Erleben von Ungerechtigkeit… warum „säuft“ bspw. der Nachbar wie ein Loch, 
seit vielen Jahren schon 
und ist dennoch uralt geworden 
( … und mir bleibt der Glühwein mit ordentlich Schuss wegen der blöden Medikamente versagt…),
weshalb darf ich nicht genauso alt werden?! 
Warum ist diese Welt so unfair?
Weshalb kann man mit dem Schicksal nicht verhandeln?
Weshalb trifft es immer die Falschen?
Was hab ich im Leben falsch gemacht, bin ich schuld? 
Und wenn es meine Schuld ist, 
wohin mit meinem schlechten Gewissen?
Belaste ich jetzt mit meiner Krankheit nicht auch mein familiäres Umfeld?
Ich wünsche mir einfach nur mein Leben zurück, 
mein normales Leben, 
aber mein „normal“ ist, 
dass gar nichts mehr normal ist.



Und morgen ist dieses emotionale Tief wieder ausgeglichen.
Diese Tage gehen vorbei, das weiß ich inzwischen…



Dann triffst du dich mit Menschen, 
die sich anfühlen wie Sonnenstrahlen und die Welt ist wieder im Lot.

Denkt bitte auch an alle , 
die keine Familie haben und vielleicht an den Feiertagen alleine sind, 
egal ob man krank ist oder einem aus anderen Gründen die Perspektive fürs kommende Jahr fehlt. 
Seid aufmerksam, ich bitte euch.❤️
In diesem Sinne…❤️







1 Kommentar:

  1. ❤️ ich hoffe dich weiterlesen zu können...oder Helma erzählt mir wie es dir geht...
    liebe Grüße...angel

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